Häufig lehren muslimische Gelehrte ihren Schülern in den Unterrichten bezüglich Geschichte und der Sirah, dass das Studieren der Geschichte keine intellektuelle Freizeitbeschäftigung ist. Die Geschichte wird studiert, um nützliche Lehren daraus zu ziehen. Dies stimmt bezüglich der quranischen Lehren:

Wahrlich, In ihren Geschichten ist eine Lehre für die Verständigen….(12:111)

Im Allgemeinen haben diejenigen, die Geschichte studieren, die Absicht, praktische Lehren für ihr Leben daraus zu ziehen und dass dadurch vermieden wird, Fehler von früheren Generationen zu wiederholen. Wenn es zum praktischen Leben kommt, beachten die meisten Menschen allerdings diese nicht, oder sind einfach nicht in der Lage eine Lehre anzuwenden, die sie durch das Lesen der Geschichte gelernt haben. Und wenn einer gefragt werden würde, weshalb dies so ist, würde die einfachste Entschuldigung folgendermaßen lauten: „Die Umstände damals entsprechen nicht den heutigen Umständen“ oder: „Uns stehen bessere Mittel zur Verfügung als je zuvor“ oder „die natürlichen Gegebenheiten des Landes, die Geographie und der Krieg unterscheiden sich von Zeitalter zu Zeitalter“. Und so wird das Lesen der Geschichte eine oberflächliche Praxis der Sinnlosigkeit, ohne dass daraus praktische Lehren gezogen werden.

Heute werden wir innehalten und über ein historisches Ereignis nachdenken, welches  uns Jahrhunderte zurückbringen wird. Die Ähnlichkeit der Verhaltensmuster während dieser Ereignisse ist deutlich genug, um zu glauben, dass die gegenwärtigen Ereignisse eine Wiederholung einer früheren Abfolge ist. Wir werden heute das muslimische Königreich von Granada erläutern und einige Parallelen zwischen dem Fall von Granada und den Ereignissen ziehen, die sich uns in der muslimischen Provinz von Idlib, welche, möge Allah es verhindern, dasselbe Schicksal der Früheren treffen wird,  darlegen.

Die Parallelen zwischen Idlib und Granada

Granada war die letzte muslimische Hochburg, die in al-Andalus (Spanien) fallen sollte. Die Mujahidin,pflegten sich aus anderen Gouvernements nach Granada zurückzuziehen, nachdem ihre Städte gefallen waren. Diese Rückzuge entstanden nur nach einer langen Zeit der Entschlossenheit, des Widerstands und des Jihads. Der Rückzug nach Granada basierte hauptsächlich auf der Absicht, sich neu zu organisieren, zurückzukehren und sich an den Spaniern zu rächen. Allerdings bevorzugten es viele muslimische Bewohner, in ihren gefallenen Stäten zu verbleiben, insbesondere nachdem sie die Zusicherung und die Garantie ihrer neuen christlichen Herrscher erhalten hatten. Dies ähnelt sehr deutlich dem, was sich in den meisten Gebieten ereignet hat, die zuvor durch die syrische Revolution befreit wurden, wie Daraa, Darya und Ghouta, von wo aus sich die Kämpfer nach Idlib zurückgezogen haben, die letzte Hochburg der Revolution. In Spanien waren sich die Spanier der Ansammlung der Muslime in Granada vollkommen bewusst, doch sie entschieden sich, diese Entwicklung zu ignorieren, bis sie andere muslimische Gouvernements besiegt hätten. Dies wurde nicht aus Furcht oder Angst vor der Stärke der Muslime in Granada gemacht, sondern es war einfach eine Angelegenheit der strategisch, militärischen und politischen Kalkulationen. Tatsächlich schlossen die Spanier sogar einen Waffenstillstand mit dem Herrscher von Granada, während sie mit einem Konflikt in Portugal beschäftigt waren.

Nach dem Zusammenschluss von Castile mit Aragon – ein Bündnis, welches mit der Heirat von Isabelle und Ferdinande gefestigt wurde – kamen die Spanier zusammen, um die Muslime zu bekämpfen und sie stellten eine große militärische Einheit unter einer einzigen Fahne auf. Während diese folgenschweren Ereignisse vor ihrer Tür stattfanden, waren die Muslime in Granada in ihren eigenen inneren Kämpfen um Macht und Ansehen in einem belagerten Königreich, welches sich in seinen letzten Atemzügen befand, verwickelt. Wie sehr ähnelt die Gegenwart der Vergangenheit! Heute sind wir leider Zeugen eines nicht endenden Konflikts zwischen den verschiedenen Gruppen in Idlib. Der einzige Nutznießer dieses Kampfes ist der Feind, der seinen internen Zusammenhalt und seine Stärke bewahrt hat. Die Führung in Granada hat einen großen Fehler begangen, indem sie sich selber in interne politische Rivalitäten hineinziehen lassen hat, während der Feind vor ihrer Tür stand und anklopfte. Dies ereignete sich, obwohl die Muslime in Granada sich als eine Ummah des Quran sahen – dem selben Buch, welches ihnen befiehlt:

„Und gehorcht Allah und Seinem Gesandten und hadert nicht miteinander, damit ihr nicht versaget und euch die Kampfkraft nicht verläßt. Seid geduldig; wahrlich, Allah ist mit den Geduldigen.“

(Surah al-Anfal:46)

Nachdem alle muslimischen Königreiche eines nach dem anderen gefallen waren und die Muslme sich in ihrer letzten verbliebenen Hochburg versammelt hatten, begannen die Spanier zu planen, wie sie auch Granada zu Fall bringen konnten. Sie belagerten zunächst das Königreich für eine sehr lange Zeit, bis die Bewohner von Schwäche, Furcht,, Hunger und Erschöpfung übermannt wurden. Viele begannen schließlich eine Kapitulation in Betracht zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt boten die Spanier  den Muslimen einen Olivenzweig an, einen Vertrag, der eine friedliche Koexistenz zusicherte. Es wäre wichtig hier einige der wichtigsten Klauseln dieses Vertrages zu erwähnen.

Der Vertrag beinhaltete verschiedene Abschnitte, in denen den Muslimen Freiheit, Sicherheit, Schutz bezüglich des Besitzes, des Handels, des Lebens, der Häuser und der Unantastbarkeit zugesichert wurde. Tatsächlich steht in der ersten Klausel, dass kein Christ über die Mauer zwischen al-Hamra und Bayazin klettern durfte, damit die Privatsphäre der muslimischen Häuser nicht gestört wird. Derjenige, der diese Klausel brechen würde, würde hart bestraft werden. Die zwölfte Klausel besagte, dass kein Christ eine Mosche oder einen Ort der Anbetung der Muslime ohne vorherige Erlaubnis der muslimischen Richter betreten darf und wer diese Bedingung bricht, wird bestraft werden. Man ging auf die Gefühle der Muslime in solch einem Ausmaß ein, dass die dreiunddreißigste Klausel besagte, dass wenn eine muslimische Frau eine Liebesheirat mit einem Christen schließen möchte, sie dafür nicht die Erlaunis bekommen würde, ohne dass zuvor die angemessene Verwarnung ausgesprochen werden würde. Würde dies nichts nützen, muss sie die Erlaubnis ihres Vormunds einholen.

Der Vertrag garantierte die Freiheit der Gerichtsbeschlüsse in Angelegenheiten der Gesetze, die entsprechend der Scharia angewendet werden würden. Angelegenheiten der Erbschaft, der Heirat und andere Rechtsangelegenheiten fielen allein unter islamischem Recht. Die Spanier bestätigten ihren Respekt gegenüber der muslimischen Religion und ihrer Riten. Der Vertrag besagte: „Jede Forderung oder jeder Streit zwischen Muslimen wird entsprechend den Regeln der islamischen Scharia gelöst, wie es der vorherrschende Brauch ist. Und wenn ein Streit zwischen einem Muslim und einem Christen entsteht, muss das Gericht mindestens zwei Richter beinhalten, einem muslimischen und einem christlichen, so dass keiner Partei einer ungerecht behandelt wird.“

Was die Waffen angeht, so besagte der Vertrag, dass den Muslimen erlaubt wurde, nur leichte Waffen zur Selbstverteidigung zu besitzen. Was leichte oder schwere Artilleriewaffen angeht, so wurde von den Muslimen gefordert, dass sie sie den Spaniern übergeben. Die fünfte Klausel besagt: „Persönliche Waffen und Pferde dürfen niemals von den Muslimen beschlagnahmt werden, außer Munition und […] müssen übergeben werden.“

Der Vertrag erlaubte, dass man zum islamischen Maghrib reiste und sicherte zu, dass man im Verlauf der Reise auf keine Hürden stoßen würde. Er besagte sogar, dass jeder, der das Land verlassen möchte, aber nicht in der Lage ist, seinen Besitz zu verkaufen, einen Anwalt bevollmächtigen kann, der seinen oder ihren Besitz verkauft und dann ungehindert dem Besitzer die Einnahmen zuschicken kann.

Die elfte Klausel besagt, dass keinem Spanier erlaubt ist, einen Anhänger oder Diener von Abu Abdullah, dem König von Spanien, zu benutzen, oder ihre Pferde oder Tiere ohne ihre Erlaubnis oder einer finanziellen Entschädigung für die Abnutzung zu benutzen.

Der Vertrag garantiert die vollkommene Bewahrung der Moscheen und des religiösen Besitzes. Die zwanzigste Klausel besagte, dass ein Verbund von Juristen die Einnamen und die Ausgaben der Universitäten und Bildungsinstitutionen überwacht und dass niemand das Recht besitzt, in die Einnahmen dieser Institutionen einzugreifen oder ihre Beschlagnahmung anzuordnen.

Nach einer sehr langen Belagerung stimmte die Führung von Granada zu, eine Vereinbarung der Kapitulation zu unterzeichnen, um einige „allgemeine Forderungen“ zu erfüllen und um einige der Führung zu besänftigen, die der Belagerung überdrüssig geworden und die durch den Krieg erschöpft waren. Die Bedingungen der Kapitulation waren äußerst verlockend, doch in Wahrheit war es ein durchschlagender Sieg für die Spanier, für die der Vertrag ein besseres Angebot war, als jeder militärische Angriff, der zu einem harten Widerstand und zu Verlusten von Männern und Material geführt hätte.

Verschiedene Persönlichkeiten der muslimischen Führung zeigten ihre Bereitschaft, sich zu ergeben. Inmitten dieser Ehrlosigkeit hat die Geschichte für uns auch mutige Haltungen aufgezeichnet, wie die von Musa bin Ghasan, von dem berichtet wird, dass er gesagt hat: „Es ist besser für mich, zu denjenigen gezählt zu werden, die im Kampf der Verteidigung von Granada gestorben sind, als zu jenen, die ihre Kapitulation bezeugt haben.“ Und so ein ehrenvoller Tod wurde ihm bestimmt, da er starb, während er muslimisches Land verteidigte. Möge Allah barmherzig mit ihm sein und ihn zu den Märtyrern zählen. Musa kannte die Realität dieses Vertrages: Es war eine Vereinbarung einer erniedrigten Kapitulation, während viele ihn als einen politischen Sieg ansahen, der die wichtigsten Interessen bewahrte, insbesondere da die Vereinbarung den Respekt der religiösen Gefühle, die Unabhängigkeit der juristischen Angelegenheiten, die Regeln der Scharia, den Schutz des Lebens, des Besitzes und des Eigentums garantierte und sie unterschied  nicht stark zwischen den Muslimen und den Christen. Konfrontiert mit diesen Täuschungen, warnte Musa bin Ghasan sie mit den folgenden Worten: „Macht euch selber nichts vor. Glaubt niemals, dass die Christen ihr Versprechen erfüllen werden. Lasst euch nicht durch die Fassade ihres Edelmuts verlocken. Der Tod ist das Mindeste, vor dem wir uns fürchten sollten, denn die Plünderung und die Zerstörung unserer Städte, die Schändung unserer Moscheen, die Zerstörung unserer Häuser, die Schändug der Ehre unserer Frauen und Töchter erwarten uns. Wir stehen der unmoralischsten Form der Unterdrückung, der skrupellosen Voreingenommenheit, der Peitschen und Ketten, der Gefängnisse, der Verliese und der Hölle gegenüber. Dies ist das tragische Schicksal, das jene schwachen Seelen erwartet, die den ehrbaren Tod fürchten. Was mich angeht, so werde ich nicht so lange leben, um diesen Tag zu erleben.“

Möge Allah barmherzig mit Musa sein, denn er wusste vollkommen, dass den Ungläubigen niemals bezüglich ihrer Versprechen vertraut werden kann und dass die Klauseln in dem Vertrag, die den Schutz der Muslime und ihrer Religion gewährten, nur eine Täuschung waren, die keinen Muslim verlocken darf, der Folgendes im Buch Allahs liest:

„Mit dir werden weder die Juden noch die Christen zufrieden sein, bis du ihrem Bekenntnis gefolgt bist.“

(Surah al-Baqarah:120)

Er wusste, dass die Geschichte wertvolle Lehren zu bieten hat, doch war irgendjemand bereit, diese zu beachten? Die Stimme Musas wurde in dem Geschrei ertränkt, aufgrund der Meinung, dass seiner Meinung der politische Scharfsinn fehle und eine Gleichgültigkeit gegenüber den Leben existiere, die durch solche eine Vereinbarung angeblich geschützt werden würden. Manche haben vielleicht sogar gedacht, dass Musas Meinung auf Extremismus und einer starren Interpretation der Loyalität und Lossagung (al-Wala wal-Bara) basierte.

Leider wurde nur nach sieben Jahren nach der Vereinbarung Musas Voraussage wahr. Nach Jahren der Belagerung wurde die Entschlossenheit der Muslime geschwächt und die Spanier nahmen ihnen ihre Waffen weg. Die Ereignisse begannen eine hässliche Wendung anzunehmen. Viele Muslime wurden gewaltsam zum Christentum gezwungen. Die Inquisition feierte die grauenvollsten Foltertechniken, Ermordungen und die Vertreibung in den Maghrib. Die Moscheen wurden zu Kirchen umgewandelt, Besitz und Eigentum der Muslime wurden vor ihren Augen in Brand gesetzt. Jahrhunderte nach dem Fall von Granada, als die Soldaten von Napoleon Bonaparte Spanien betraten, waren sie entsetzt von der Institutionalisierung der Folter durch die folgende Inquisition. Die Geschichte von dem Fall des muslimischen Spaniens ist heutzutage in der muslimischen Welt sehr bekannt, doch es wird häufig vergessen, dass es das Unterzeichnen einer scheinbar günstigen Vereinbarung war, welches die Totenglocken der letzten muslimischen Hochburg in al-Andalus läutete.

Quelle: Kawthar.co

Anmerkung: Es lohnt sich auch für jeden in Europa lebenden Muslim den Niedergang Andalusiens zu studieren, um zu verstehen, wie tolerant sich die Spanier gaben und was das Schicksal der Muslime zuletzt war, weil sie den persönlichen Neigungen dem quranischen Text Vorrang gaben und somit die Warnung Allahs und Seines Gesandten missachteten, den Kuffar und ihrer Garantien zu vertrauen und sich unter den Mushrikin anzusiedeln. Dafür ist dieses Buch, welches unter folgendem Blog downloadbar ist mehr als nur zu empfehlen, welches sich mit den Ursachen des Falles von Andalusien befasst, die Parallelen zu den heutig lebenden Muslimen im Westen und der Notwendigkeit der Hijra:

https://historyofandalus.wordpress.com/